Stand: Oktober 1996
Free Tibet Campaign
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Tibet Facts No. 3

Rechtsprechung und Verletzung der Menschenrechte

"Da die chinesische Regierung jegliches Verlangen nach Unabhängigkeit als eine entsetzliche Bedrohung der nationalen Einheit ansieht, ist für sie Repression das Mittel der Wahl, um mit der Dissidentenbewegung in Tibet, die, wie sie argwöhnt, nach schnell an Kraft und Ausmaß wachsen könnte, fertigzuwerden" (Bericht über den Besuch einer Schwedischen Menschenrechtsdelegation in China und Tibet, 4. Oktober 1994).

Überblick

Hunderte von Tibetern sitzen aus politischen Gründen im Gefängnis. Nach der Verhaftung werden manche drei Monate oder länger ohne eine Anklage in Gewahrsam gehalten. Jene, die unter Anklage stehen, müssen mit einem Durchschnittsurteil von 6 1/2 Jahren rechnen. Mißhandlungen und Schläge nach der Festnahme sind an der Tagesordnung und ihr Zweck ist, vor weiterem Protest abzuschrecken und Geständnissen zu erzwingen. Auch die Verurteilten werden oft grausam gefoltert.

Es ist unmöglich, genaue Daten über die Anzahl der Inhaftierten zu erhalten infolge der Weigerung der chinesischen Regierung, irgendeine Information zu liefern, sowie ihrer ständigen Beteuerung, daß politische Gefangene gewöhnliche Kriminelle seien. Die Chinesen sehen keine Möglichkeit von Besuchen unabhängiger internationaler Beobachter (z.B. Internationales Komitee des Roten Kreuzes) mehr vor. Sie verkünden manchmal, daß der oder jener aus dem Gefängnis entlassen worden sei, während die betreffende Person noch monatelang festgehalten wird, oder sie leugnen überhaupt, etwas über den Verbleib von Personen zu wissen, die sich vermutlich in Gewahrsam befinden. Da die Chinesen strenge Kontrolle über Reisen nach und aus Tibet ausüben, und der Kontakt zwischen Touristen und Tibetern sehr schwierig ist, kann man fast nur von Tibetern, die über Nepal nach Indien geflohen sind, Informationen bekommen.

Die politische Repression hat seit 1994 stark zugenommen, und derzeitig gibt es mehr politische Gefangene als zu irgendeinem Zeitpunkt in den vergangenen sechs Jahren. Man nimmt an, daß 1995 über 230 Tibeter verhaftet wurden, eine 50-prozentige Zunahme gegenüber 1994, womit sich die vermutliche Gesamtzahl der Inhaftierten auf über 600 erhöht. Gleichzeitig weitet sich der politische Dissens in Tibet auf ländliche Gebiete und weite Teile der Gesellschaft aus (Cutting off the Serpent's Head: Tightening Control in Tibet 1994/5, TIN & Human Rights Watch/Asia, 1996). Das scheint auf eine neue Tibet-Politik zurückzuführen sein, die im Juli 1994 verkündet wurde, nachdem Präsident Clinton die Meistbegünstigungsklausel für China von der Menschenrechtsfrage löste und der Druck der anderen europäischen Länder (Frankreich, Deutschland) in Menschenrechtsfragen nachließ. Als Ergebnis dessen verhängten die Chinesen längere Urteile für politische Delikte, verstärkten ihre Kontrolle über die Klöster und gingen schärfer gegen Proteste vor, sowohl gegen wirtschaftliche als auch gegen politische, die ihnen jetzt als von einem antagonistischen oder separatistischen Geist ausgelöst, erschienen.

Die religiöse Freiheit wurde drastisch eingeschränkt, und die Klöster dürfen nur noch unter intensiver Überwachung weiterexistieren. Der Disput um die Reinkarnation des Panchen Lama diente den Machthabern als Anlaß, die Restriktionen auf dem Gebiet der Religion zu verschärfen und führende Tibeter genauer im Auge zu behalten. Die Hetzkampagne zur Diskreditierung S.H. des Dalai Lama als einem religiösen Führer wird immer schlimmer.

Das Verbrechen der Konterrevolution

Jede Rede von tibetischer Unabhängigkeit stellt eine Bedrohung für die Einheit des "Mutterlandes" dar. Sie gilt als konterrevolutionär und wurde seit 1951 in vielen Fällen als ein Kapitalverbrechen gewertet (Tears of Blood: A Cry for Tibet, Mary Craig, 1992, S. 234). Konterrevolution wird vom § 90 des chinesischen Strafgesetzes als "eine mit dem Ziel, die politische Macht der Diktatur des Proletariats und des sozialistischen Systems zu stürzen, begangene Tat" definiert.

Im Mai 1994 kündigte China rigorose neue Gesetze zur Niederschlagung von politischem Dissens an. Es gibt nun 18 neue Verhaftungsgründe, wozu auch die Bildung einer sozialen Organisation ohne Regierungsbilligung, "das Erfinden und Entstellen von Tatsachen", die „Verbreitung von Gerüchten“ oder "anderweitige Störung der politischen Ordnung" gehören. Es gilt nun als strafbar, "Konflikte zwischen den Nationalitäten zu schüren, der Einheit der Nationalitäten Abbruch zu tun und ihre Abspaltung anzufachen". Die neuen Gesetze vermehren die Macht der Polizei ganz gewaltig.

Scheinbar geringfügige Akte gewaltlosen Protestes werden mit eiserner Faust niedergeschlagen. Tibeter, die offen ihre von der vorgeschriebenen Linie abweichende politische Meinung westlichen Touristen gegenüber ausdrücken oder Informationen über die Lebensbedingungen in Tibet sammeln und versuchen, diese der tibetischen Regierung-im-Exil oder westlichen Menschenrechtsgruppen zuzuleiten, gehen ein besonders großes Risiko ein.

Prozessverfahren

Gemäß dem Art. 125 der Verfassung der PRC hat "der Angeklagte das Recht zur Verteidigung". Es ist jedoch kein einziger Fall bekannt, daß ein Tibeter vor oder während der Verhandlung gesetzlichen Beistand erhalten hätte. Es scheint, daß die normalen juristischen Verfahren abgekürzt wurden. Das chinesische Strafrechtsystem in Tibet kennt auch keine Unschuldsvermutung. Es ist kein Fall bekanntgeworden, daß ein politischer Vergehen wegen angeklagter Tibeter jemals freigesprochen worden wäre (Defying the Dragon, TIN, 1991, p. 35). Darüber hinaus werden manche "Straftäter" direkt in die laojiao (Umerziehung-durch-Arbeit) Lager gesandt.

Die Strafprozeßordnung der PRC verlangt, daß alle Prozesse öffentlich sein müssen, außer jenen, bei denen es um Staatsgeheimnisse, private und individuelle Angelegenheiten oder Minderjährige geht (Art. 8 and 11, PRC Criminal Procedural Law). In Wirklichkeit jedoch erfolgen die meisten Prozesse in Tibet hinter geschlossenen Türen oder vor einem speziell ausgewählten Publikum (Defying, p. 34). Es ist äußerst schwierig, Berichte aus erster Hand über politische Gerichtsverfahren in Tibet zu erhalten. Es gibt jedoch einen aufgezeichneten Augenzeugenbericht eines öffentlichen Prozesses zweier Mönche aus dem Kloster Ngarong, der im März 1990 in Rigong stattfand. Die Mönche waren im Herbst 1989 wegen des Entrollens einer tibetischen Flagge auf der Straße festgenommen worden. Keiner der Angeklagten hatte einen gesetzlichen Vertreter, noch wurde ihnen eine Chance gegeben, sich selbst zu verteidigen. Die Mönche wurden wegen konterrevolutionärer Verbrechen zu jeweils ein und eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt (Defying, p. 35).

Es gibt keine richtigen offiziellen Wege, auf denen ein Häftling oder ein ihn Vertretender Beschwerde einlegen könnte. Wenn ein Freund oder Verwandter des Opfers solch einen Schritt wagen würde, käme er schnell in den Verdacht, mit der Unabhängigkeit zu sympathisieren. Darüber hinaus spielt das Public Security Bureau (dem die Obhut über die politischen Gefangenen in der TAR zusteht) bei der Auflösung von Demonstrationen, Überwachung und Verhaftung von Verdächtigen und der Ermittlung eine große Rolle. Die Tibeter können sich nur an internationale Menschenrechtsgruppen wenden und bei ihnen Hilfe suchen.

Das Leben im Gefängnis, Folter

China verstößt fortwährend gegen seine unter der UN Konvention gegen die Folter eingegangenen Verpflichtungen. Es hält sich ebensowenig an die in seiner eigenen Gesetzgebung verankerten Verbote der Folter. Im Juni 1994 stellte Premierminister Li Peng fest, daß "die Angelegenheiten eines Landes von seinem eigenen Volk geregelt werden sollten, das gewißlich das Recht hat, sein eignes soziales System und den Verlauf seiner Entwicklung zu wählen. Kein anderes Land darf sich auf irgendeine Weise und unter keinerlei Vorwand einmischen".

Es gibt überwältigende Zeugnisse dafür, daß Folter und andere Formen von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bei der Inhaftierung in Polizeistationen, Haftzentren, Arbeitslagern und Gefängnissen in Tibet Routine sind. Berichte von entlassenen Gefangenen aus erster Hand beschreiben die Anwendung von Elektroschlagstöcken auf Oberkörper, Mund, Fußsohlen und Genitalien; die Verwendung von angezündeten Zigaretten zur Beibringung von Verbrennungen; die Verabreichung von Schlägen mit Knüppeln und Gewehrkolben; das Hetzen von abgerichteten Hunden auf die Gefangenen; die Anschnallung der Gefangenen über lange Zeit in einer Position durch Handschellen und Ketten. 1992 konnte Palden Gyatso, ein Mönch, der über 30 Jahre lang von den Chinesen gefoltert wurde, seine Gefängniswärter schmieren, ihm die Folterwerkzeuge zu überlassen. Diese aus Tibet herausgeschmuggelten Folterwaffen wurden 1994 und 1995 im Westen zur Schau gestellt. In den Berichten wird auch beschrieben, wie Gefangene mehrere Tage an einem Stück im Freien, manchmal sogar auf Eisblöcken, stehen müssen. Mehrere Tibeter, einschließlich Jugendlicher, starben im Gefängnis an den Folgen von Folter und Mißhandlungen (Defying, pp. 47-53).

Entlassene Gefangene, die interviewt wurden, sagten, daß das Essen ungenügend und von so miserabler Qualität war, daß sie Durchfall bekamen. Viele ehemalige Gefangene erwähnten, daß es den Insassen verboten gewesen sei, miteinander zu sprechen. Die Berichte sagen einmütig, daß die ärztliche Versorgung in den Gefängnissen unzulänglich ist und sich sogar bei schweren Verletzungen oder Krankheiten auf die allerelementarste Erste Hilfeleistung beschränkt. 1994 gab es 255 politische Gefangene in Drapchi (zweimal so viele wie 1990), wovon die meisten Mönche oder Nonnen waren. Phuntsog Yangki, eine junge tibetische Nonne, starb im Juni 1994 in Drapchi, höchst wahrscheinlich an den Schlägen, die sie von den Gefängniswärtern verabreicht bekam. Zwei ähnliche Todesfälle wurden 1994/5 bekannt.

Religiöse Unterdrückung  

Die chinesische Regierung übt mit eiserner Faust Kontrolle über die Religion in Tibet aus. Die Gesetze schränken die monastische Tätigkeit, die nun unter der strengen Regie des Amtes für Religionsangelegenheiten steht, drastisch ein. Kader und Regierungsangestellte dürfen überhaupt keine religiöse Andacht verrichten, und öffentliche religiöse Zeremonien und Feste sind verboten, weil sie angeblich sozialen Zündstoff bilden. Die monastische Bevölkerung ist eingeschränkt, die Erlaubnis zum Wiederaufbau eines Klosters kann verweigert werden, und der Besitz von Bildern des Dalai Lama gilt als strafbare Handlung.